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Ganz im Süden, nach Reggio di Calabria, enttäuscht zunächst die landschaftlich unattraktive Südküste Kalabriens. Es gibt hier keine Strände, die Brandung donnert gegen große, an der Küste aufgehäufte Steine. Im Hinterland erstreckt sich ödes Agrar- und Brachland, dazwischen wenige, unansehnliche, verrottende Industrieanlagen. Dann endlich rückt der Aspromonte näher an die Küste heran, die ersten Felsformationen türmen sich auf, ein breiter Geröllstrom ergießt sich ins Meer. In der Ortschaft Bova di Marina zweigt ein kleines Sträßchen nach Bova ab. Langsam folgen wir den Serpentinen hinauf in die Bergwelt. Endlich erreichen wir Bova, wo der Nationalpark Aspromonte beginnt. Jetzt am frühen Nachmittag liegt das Dorf wie ausgestorben an den Berg geschmiegt. Nach dem Ort schlängelt sich die Straße in engen Kurven weiter bergauf. Einzig ein Polizeifahrzeug begegnet uns in dieser verlassenen Gegend. Große Schilder am Straßenrand geben die Notrufnummer der Polizei, 112, bekannt. Das wirkt jetzt nicht so beruhigend, wenn man auf der Fahrt ins Innere des verrufenen Aspromonte ist. Sofort fällt uns die Zeitungsnotiz ein, in der berichtet wurde, wie Mafiosi, die in einem Dorf des Aspromonte von Carabinieri hochgenommen werden sollten, entkommen konnten, weil das ganze Dorf mit Fluchttunnels, die in die Berge führten, durchzogen war. Und dann erinnern wir uns plötzlich an Pressemeldungen, in denen es um Entführungsopfer ging, die entweder bis zur Lösegeldzahlung oder bis zu ihrem Tod von der `ndrangheta in der Bergwelt des Aspromonte versteckt wurden. Doch als Kidnapping-Opfer eigneten wir uns bestimmt nicht, also dann: Andiamo! Unser nächstes Ziel ist das aufgelassene Geisterdorf Roghudi. Dort soll sich ein gigantischer Geröllfluss befinden, der fiumara Amendolea. Das unbefestigte Sträßchen, dem wir jetzt Richtung Roghudi folgen, ist nicht nur schlecht, es ist eine Katastrophe! Nach scheinbar endloser Fahrt geht es das letzte Stück abenteuerlich steil den Berg hinunter. Es eröffnen sich grandiose Ausblicke auf den 1307 Meter hohen Monte Lesti o Grosso, bevor wir wieder an eine Straßengabelung gelangen. Rechts geht es nach Ober-Roghudi, links nach Roghudi . Wo wollen wir hin? Wir entscheiden uns für das unmittelbar rechts liegende Ober-Roghudi. Das halbverfallene Dorf wirkt nicht gerade sehr einladend. Inzwischen hat sich auch der Himmel etwas bewölkt und der ungastliche Eindruck verstärkt sich noch. Die Straße führt an einem aufgelassenen Friedhof vorbei, dessen leere Grabkassetten uns bedrohlich anstarren. Wir sehen, dass wenige Gräber mit frischen Blumen geschmückt sind. Als wir an den ersten, unbewohnt wirkenden Häusern vorbeifahren, stehen in einer zugewachsenen Einfahrt zwei nagelneue, schmucke Pkws. Ein merkwürdiger Kontrast. Fahrer sind nirgends auszumachen. Am Ende des Dorfes ist an einem Haus ein großer weißer Hund angebunden und nagt an frischen Knochen. Doch von Menschen fehlt weiterhin jede Spur. Das gespenstisch wirkende Dorf zieht sich den steilen Hang hinauf, oben können wir die Kirche sehen. Einige Häuser scheinen bewohnt zu sein. Doch merkwürdiger Weise kommt in dieser verlassenen Einöde kein neugieriger Dorfbewohner herbei um zu sehen, was für ein Auto sich hierher verirrt hat. Bei der erstbesten Gelegenheit wenden wir den Wagen. Die beklemmende Atmosphäre in Ober-Roghudi ermutigt nicht gerade dazu, Leute zu suchen, die man nach dem richtigen Weg fragen kann. Also fahren wir zurück und schlagen die Straße nach dem anderen Roghudi ein. Wir wundern uns, dass nicht einmal ein Hund anschlägt, wenn Fremde vorbei kommen. Aber hatten wir uns die Bergwelt des Aspromonte nicht ein bisschen finster und unheimlich vorgestellt? Die andere Straße führt in Serpentinen zum aufgelassenen Roghudi hinunter. Wir folgen der Straße hinunter zum Fluss; über eine Brücke erreichen wir das andere Ufer. Auf einem Schild wird vor der lebensbedrohlichen Flutwelle gewarnt, die sich bei Unwetter rasend schnell in das Flussbett ergießen kann. In Serpentinen geht es jetzt bergauf bis zu einem halbbewohnten-halbzerfallenen Dorf, auf dessen Straßen auch einige Menschen unterwegs und beim Arbeiten sind. Auf unser Grüßen hellen sich die abweisenden Mienen der Leute auf und man grüßt freundlich zurück. Die Steinhäuser sind eng in den steilen Fels gebaut, es gibt kaum Platz für Autos und Fußgänger. Wie und wovon leben die Menschen hier, besonders im harten Winter, wenn sie von der Außenwelt völlig abgeschnitten sind? Eine Ahnung beschleicht uns, wie Lebensumstände dazu führen konnten, dass sich die Menschen dieser Dörfer eigene Gesetze schufen, zwar Gesetze der wilden Berge und des bitteren Blutes, aber immerhin Gesetze, deren Ehrenkodex das Zusammenleben regelte und das Überleben ermöglichte. Zweifelsohne stellt heute die kalabresische Mafia, die `ndrangheta, einen Hemmschuh für die Entwicklung des italienischen Südens dar. Doch wenn man sie bekämpfen will, warum verfügen noch heute die Dörfer des südlichen Aspromonte über keine ausreichende Infrastruktur, sind die Straßen kaum befahrbar und wird die touristische Erschließung der fantastischen Bergwelt nicht auf Hochtouren vorangetrieben? Wir kommen ins Grübeln... Die Straße wird etwas besser und nach viel Kurbelei erreichen wir den Ort Roccoforte del Greco. Wieder ein griechischer Sprenkel. Frage: wenn hier überall die `ndrangheta herrscht und die Gegend von Griechen bewohnt ist, ist die `ndrangheta dann griechischen Ursprungs - ebenso wie sich das Wort “Ndrangheta” von dem griechischen Wort “andragathos ” (tapferer Mann) ableiten soll? Roccoforte del Greco ist grau, zum Teil verfallen, wirkt abweisend. Es gibt keine Bürgersteige. Treten die Menschen aus ihren Häusern heraus, stehen sie unmittelbar auf der Fahrbahn der Durchgangsstraße. Es gibt nur eine Fahrspur, die sich der Verkehr in beide Richtungen und die Fußgänger miteinander teilen.
Nach einiger Zeit kommen wir auf eine mit Getreide und Ginster bewachsene Hochebene. Hier wird Schafzucht betrieben und die Bauern führen neben der Käserei auch eine kleine Bar, in der wir als die einzigen Gäste capuccini serviert bekommen. Jetzt ist es schon nach sechs Uhr abends und wir befinden uns immer noch irgendwo inmitten der wilden Bergwelt. Die Bäuerin erzählt, dass wir auf dieser Straße nicht weiterfahren können. Es hätte eine Brücke weggeschwemmt und die Straße sei deswegen gesperrt. Himmel noch mal! Von Gambarie aus hätten wir es nicht weit gehabt zurück zur Küstenstraße. Was tun? Umkehren? Den ganzen Weg zurück fahren? Langsam kriechen aus den Tälern die Nebel hoch. Die Sonne hat sich ganz verzogen und es wird richtig ungemütlich. Wir beratschlagen noch, als ein Landrover neben uns hält und ein junger Mann aussteigt. Die Bäuerin schildert ihm unser Problem. Der Mann mustert uns abschätzend, bevor er erklärt, wir hätten einen Kilometer geradeaus zu fahren, dann müssten wir links in eine Straße abbiegen, die nach Cardeto Sud führt. Nach weiteren fünf Kilometern, bei Getreidesilos, müssten wir dann nach rechts abbiegen. Wir machen uns auf den Weg. Die Abbiegung bei den Getreidesilos finden wir nicht gleich, weil es sich nur um einen Feldweg handelt. Es sind einige unfreundlich blickende Männer unterwegs. Auch wenn die Männer noch so finster blicken, schreckt uns das nicht mehr davon ab zu halten und nach dem richtigen Weg zu fragen. Es dämmert schon und wir wollen unbedingt vor Einbuch der Dunkelheit raus von den Bergen. Der Feldweg wird zur schlaglöcherigen Sandpiste und wir zweifeln wieder einmal, ob dieser Weg der richtige sein kann. Als wir gerade beschlossen haben, wieder umzukehren, kommt uns – wir trauen unseren Augen nicht – in eine große Staubwolke gehüllt ein LKW entgegen! Eigentlich erübrigt sich das Fragen, aber wir lassen uns von dem Fahrer trotzdem die Richtigkeit unserer Route bestätigen.
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An der Westküste biegen wir bei Gioia Tauro ins Landesinnere ab und folgen der Ausschilderung nach Drosi und Rizziconi. Am Bergrücken angelangt, erwartet uns unter den Bäumen des hohen Laubwaldes ein gepflegter Rastplatz mit Tischen und Bänken, zwischen denen eine Herde Kühe grast. Eine informative Straßenkarte des Nationalparks Aspromonte weist uns den Weg Richtung Süden nach Zomaro . Plötzlich reißt uns lautes Brüllen aus dem Kartenstudium: stolz, schwarz und mächtig marschiert ein Stier in die Mitte der Fahrbahn und brüllt lautstark seinen Revieranspruch hinaus. Den wollen wir ihm auch gar nicht streitig machen; also steigen wir schnell ins Auto und machen uns auf den Weg nach Zomaro. Die neue Landstraße verläuft zwischen Eichen-, Buchen- und Pinienwäldern hindurch längs des Aspromonte. Wir passieren einzelne Feriensiedlungen, in denen um diese Jahreszeit noch alles verriegelt ist. In Zomaro erwarten uns ein noch geschlossenes Besucherzentrum, ein menschenleerer Picknickplatz und die Ausschilderung eines Fußweges zum Fonte Aqua Bianca, dem wir durch einen lichten Buchenwald folgen. An der gefassten Quelle des Fonte Aqua Bianca füllen einige Männer ihre Plastikkanister mit Wasser und auch wir füllen unsere Plastikflaschen. Die Männer versichern uns, dass es hier das beste Wasser des ganzen Aspromonte gebe. Zum Beweis zeigen sie auf unsere Plastikflaschen, die sich beim Befüllen perlend mit dem kühlen Nass beschlagen. Ein gut gekennzeichneter Wanderweg führt von hier zum Laghetto Zomaro. Zwar lassen sich die hier in den Wäldern beheimateten Wildschweine und Wölfe nicht sehen, trotzdem ist die Wanderung ein wunderbares Naturerlebnis. Zurück auf der Teerstraße fahren wir weiter durch diesen Teil des Aspromonte, der sich so sehr von seinem nur ca. 50 km entfernten wilden und kargen südlichen Ausläufer unterscheidet. Auch wenn sich immer wieder grandiose Panoramablicke in eine wilde Bergwelt eröffnen, so wirkt der Aspromonte hier auf Grund der gepflegten Picknickplätze, der vielen Wegweiser zu Hotels und Gaststätten, der ausgeschilderten Wanderwege und der neuen Teerstraße sehr erschlossen und gezähmt.
Neben der Straße füllt ein alter Mann an einer gefassten Quelle, die es hier wirklich überall gibt, seine Plastikbehälter auf. Auf unsere Frage, wohin die Straße führt, antwortet er: „Geradeaus!“, und auf die Frage nach dem Namen des nächsten Dorfes lautet die Antwort: „Weiß ich nicht!“ Der Mann wirkt dabei durchaus nicht unfreundlichen, sondern eher bedauernd. Die Straße wird zur Sandpiste, Ginster und Farne erobern sich die Fahrbahn zurück. Bei jedem Halt hört man Wildbäche rauschen. Endlich wird die Straße wieder besser und wir kommen an ein überdimensionales Christuskreuz. Weit unten breitet sich eine große Ebene mit zwei Ortschaften aus. Dort angelangt durchfahren wir zuerst das Dorf Delianuova, dann kommen wir nach Scido. Es ist bereits Nachmittag und so freuen wir uns sehr, als wir in Scido auf die geöffnete Trattoria Fontana Vecchia stoßen. Der Wirt ist sehr nett, das Essen gut, doch der Preis überteuert. Wir hatten natürlich wieder einmal den Fehler gemacht, und uns vor der Bestellung nicht die Karte bringen lassen. Aber was soll’s. Die Spaghetti mit frischem Tomatensugo geben den richtigen Drive für die Rückfahrt nach Gioio Tauro.
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Um sechs Uhr früh werden wir durch ein starkes Gewitter geweckt. Donner und Blitz kreisen zwischen Meer und Bergen. Es gießt in Strömen. Trotzdem brechen wir zu einem Ausflug auf, der uns zur Serra San Bruno und dem dort einstmals vom Hl. Bruno gegründeten Kartäuserkloster führen soll.
Zurück im etwas trist wirkenden modernen Zungri gönnen wir uns auf der Piazza in einer Bar einen Espresso, finster beäugt von den einheimischen Gästen. Doch sobald wir ein Gespräch beginnen, hellen sich die Mienen augenblicklich auf und die Männer antworten freundlich. Bei der Weiterfahrt begegnen uns Bäuerinnen, die ihre Bündel auf dem Kopf balancieren. Die Vegetation besteht aus Mischwald, Bambus und immer wieder Farne. Über San Gregorio fahren wir Richtung Soriano Calabro. Auffallend sind die vielen aus Ziegel gebauten, unverputzten Häuser, die den Dörfern einen ärmlichen Anstrich geben. Der unfertige Zustand vieler Häuser erklärt sich wohl auch dadurch, dass ein Haus erst nach seiner Fertigstellung besteuert wird.
Im Ort Serra San Bruno angekommen, folgen wir zuerst der Ausschilderung zu der inmitten von Tannenwäldern gelegenen und von einem Wildbach umflossenen Barockkirche Santa Maria del Bosco , die an der Stelle erbaut wurde, an der einstmals eine vom Heiligen Bruno im elften Jahrhundert errichtete Klause stand. Eine breite Treppe führt hinauf zur Kirche, daneben befindet sich das Grabmal des Heiligen Bruno.
Das Kloster San Stefano darf man zwar nicht besuchen, aber in einem wunderbaren, kleinen Museum kann man die nachgestellten Kapellen, Zellen und Arbeitsräume durchwandern, während im Hintergrund gregorianische Choräle erklingen. Ich bin beeindruckt und kaufe im dazugehörigen Devotionalienladen einen „heiligen“ Gips-Bruno. Als wir zum Parkplatz zurückkommen, erwartet uns eine Überraschung: die Beifahrertür unseres Autos steht sperrangelweit offen! Hatten wir vergessen, sie zu schließen? Ist sie aufgebrochen worden? Wie auch immer: nichts ist beschädigt, das Innere ist völlig unberührt, alles ist noch da. War das ein Zeichen, Bruno? Das Städtchen Serra San Bruno wurde einst von für das Kloster arbeitenden Männern und deren Familien bewohnt. Jetzt am frühen Nachmittag ist es dort sehr ruhig, nur die Pizzeria Le Giare hat geöffnet. Der sehr nette Wirt backt uns eine köstliche Pizza Calabrese, die uns, wenn auch auf sehr diesseitigem Weg, der Seligkeit nahe bringt. Abends zurückgekehrt nach Coccorino, wird es gleich wieder sehr katholisch. Heute wird das „Fiesta della Madonna Immacolata“, das Fest der jungfräulichen Madonna, gefeiert. Eine Statue der Muttergottes wird, begleitet von einer Blaskapelle und unter reger Anteilnahme der Bevölkerung, durch den Ort getragen. Auf der Piazza sind Verkaufsstände für Süßigkeiten und andere Leckereien aufgebaut und den würdigen Abschluss dieses Tages bildet ein buntes Feuerwerk.
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Diese Tour startet von der Ionischen Küste im Osten Kalabriens. Vom Capo Bruzzano aus fahren wir durch Africo, wo wir an einem Brunnen unsere Wasserflaschen füllen, Richtung Norden vorbei an der Abzweigung nach Plati - einer berühmt-berüchtigten Mafihochburg vergleichbar dem sizilianischen Corleone - bis zur Abzweigung nach Samo. Ist dieser Ortsname noch eine Erinnerung an die altgriechischen Siedler, die hier einstmals Anker warfen, und vielleicht den Ort Samo nach ihrer altvertrauten Heimatinsel Samos benannten? Wir folgen der kleinen, von Eukalyptusbäumen gesäumten Landstraße zuerst entlang eines ausgetrockneten Flussbettes, des fiume La Verde, bevor sich unser Sträßchen hoch in die Berge windet. Nach einem wunderbaren Bergrundkurs kommen wir zurück zur Küste. In Bianco stärken wir uns in der Pasticceria Canturi bei köstlichstem gelati und vorzüglichen dolce mit ganz frischer crema. Weiter geht es Richtung Norden, bis eine Ausschilderung nach Caulonia weist, das zehn Kilometer entfernt in den Bergen liegt. Caulonia wurde bekannt als der Ort, der sich 1945 zu einer selbständigen Republik erklärte. Diesen Status behielt die Ortschaft immerhin ein halbes Jahr bei, bis die Exekutive der Selbstständigkeit ein Ende setzte. Auf der Weiterfahrt Richtung San Nicola führt die Straße durch landwirtschaftlich genutztes Bergland, in das immer wieder kleine Gehöfte und Orte eingebettet sind. Landschaftlich unterscheiden sich Kalabriens Ost- und Westküste: während im Westen Kalabriens eine Steilküste mit dahinter liegenden dichten Bergwäldern das Landschaftsbild beherrscht, sind die Berge hier im Osten weit von den langen Sandstränden zurück gesetzt. Die Ortschaften haben mehr Platz sich auszubreiten. Die Straßenführung folgt direkt der Küste. Aus den Bergen kommende Flussbette durchziehen die landwirtschaftlich genutzten Ebenen. Die dahinter ansteigenden Berge und Felsformation sind oft karg und wild, doch überall, wo es das Gelände zulässt, wird auch in den Bergen Landwirtschaft betrieben: Orangen, Oliven, Wein und Feigen gedeihen hier. Erst ganz oben beginnen die Wälder. In einem kleinen Dorf füllt eine alte, grauhaarige Frau mit großen Goldkreolen in den Ohren und einer massiven Goldkette um den Hals am Dorfbrunnen Wasser ab. Wir fragen mal wieder nach der Abzweigung und sie bringt uns freudestrahlend auf den richtigen Weg. Wir kommen in den Ort Pezzolo und fahren dort weiter Richtung Fabrizzia. Es geht höher und höher hinauf. Obwohl wir nur noch sehr vereinzelt Autos begegnen, kommen wir an eine Polizeisperre. Carabinieri kontrollieren die Papiere der Einheimischen. Wir als Ausländer werden durchgewinkt.
Fabrizia ist ein inmitten der Berge gelegenes, recht großes Städtchen mit einem Industriegebiet und Mietskasernen. Heute war Markt und gerade werden die Stände abgebaut. Schade, wir kommen zu spät. Gerne hätten wir noch mal diesen wunderbar würzigen Ziegenkäse gekauft oder eine der köstlich pikanten Salamis. Weiter geht es Richtung Nardodipace. In einem Museumsprospekt hatten wir von „Le Pietre di Nardodipace “ gelesen. Es handelt sich dabei um Fundstellen aufgetürmter Megalithen, von denen die Zeitung „La Repubblica“ als dem „la Machu Piecchu italiano“, dem italienischen Machu Picchu – eine Ruinenstadt der Inka - schwärmt. Wir durchqueren das bei Regen sehr trist wirkende Nardodipace, fahren am Friedhof vorbei und kurz darauf ist außerhalb des Ortes rechts ein unbefahrbarer Waldweg ausgeschildert. Wir machen uns zu Fuß auf den Weg und suchen bei heftigem Regen im Wald nach Megalithen. Plötzlich stehen bei einer Hütte mehrere Autos. Aus der Hütte dringt Stimmgemurmel. Auf unser lautes „Hallo! Hallo!“ erscheinen sechs sehr überrascht wirkende Männer, die uns völlig verdutzt mustern, wie wir unter Regenschirmen mit unserem Hund durch diesen Wald irren. Als wir erklären, wir seien auf der Suche nach den „pietre“, müssen sie sehr lachen. Einer der Männer löst sich aus der Gruppe und erklärt uns in bestem Deutsch den Weg. Mit allen guten Wünschen werden wir verabschiedet.
Eine Tafel erklärt, entstanden sei dieses Werk in der neolithischen Zeit, im fünften bis dritten Jahrtausend vor Christus. Seismologische Phänomene haben zwischenzeitlich Steine gelöst, die jetzt am Boden liegen, ursprünglich aber zu dem Bauwerk gehörten. Man vermutet, der Bau diente als Begräbnisplatz, zu religiösen Zwecken oder zur astronomischen Beobachtung. Denkbar wäre auch eine Kombination all dieser Bestimmungen. Idiogramme seien auf der Oberfläche einzelner Steine eingeritzt, die eventuell didaktischen Zwecken dienten. Die Komplexität und die Größe dieser Megalithen ließen auf eine Gesellschaft schließen, die sowohl politisch als auch sozial gut organisiert gewesen sein dürfte. Anders ließe sich die Bewerkstellung dieser Bauten nicht erklären.
Es gibt im Wald noch weitere Fundstellen von aus Megalithen gestalteten Bauwerken. Eigentlich finden wir es unerklärlich, dass diese Fundstellen nicht als eine Attraktion ersten Ranges Eingang in alle Kalabrien-Reiseführer gefunden haben. Zurück auf der Landstraße gehen uns diese Fragen noch so lange im Kopf herum, bis unsere Route wieder die ganze Aufmerksamkeit fordert. Immer wieder gabelt sich die Straße, eine Beschilderung ist nicht vorhanden und in unseren Karten sind hier überhaupt keine Straßen eingetragen. Nach längerer Fahrt bergab erreichen wir ein recht verfallen und ärmlich wirkendes Dorf. Die Mauern der Häuser sind mit Parolen beschmiert. Vor einem Haus zur Rechten stehen drei Polizeifahrzeuge. Carabiniere umstehen eine Gruppe von vielleicht zehn, zwölf Männern. Das sieht nach einer Razzia aus! Wir halten und Hellmut steigt aus und fragt die Carabinieri nach dem Weg. Sichtlich nervös bedeuten uns die Carabinieri, sofort unseren Wagen zu wenden. Eine Weiterfahrt in das Tal sei nicht möglich. Wir wenden und werden von den Carabinieri bis zurück nach Nardodipace und zur Straße nach Monasterace eskortiert. Offensichtlich hatten wir eine Polizeiaktion gestört.
Über den netten Ort Pazzano erreichen wir unser nächstes Ziel: das an einem Flusslauf gelegene Bivogni, dessen marmorne Wasserfall-Kaskaden wir besuchen wollen. Nach der Durchquerung des Ortes folgen wir dem Sträßchen entlang eines Flussbettes zurück in die Berge. An einem Picknickplatz erzählen uns Leute, dass der Wasserfall noch sieben Kilometer entfernt und nur zu Fuß erreichbar sei. Man könne sich aber im Dorf einen Jeep mieten, um den Schotterweg zu bewältigen. Leider ist es heute schon zu spät, um diese Unternehmung durchzuführen. Wir müssen verzichten und fahren weiter nach Stilo.
Jetzt geht es immer bergab bis in die Ebene. Dem hier verlaufenden Flussbett folgen wir bis an die Küste.
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