Marokko 2008/09                                                   Angelika Gutsche

Teil 2

Durch das Oued Draa nach TanTan

Auf guter Teerstraße erreichen wir Assa. Tanken, einkaufen, das örtliche Internet-Café aufsuchen – und wieder raus aus der Stadt Richtung Torkoz. Es wird schon dunkel und so suchen wir uns bald neben der Straße in einer kleinen Senke einen Rastplatz für die Nacht.

Als wir am nächsten Tag Torkoz erreichen, entpuppt sich dieser Ort als ein sehr einfaches Wüstenkaff. Ein älterer Mann zeigt uns den Bäcker, der hinter einer Eisentür versteckt ist. Hinter dem Ort endet die Teerstraße und die zunächst gut gekennzeichnete Sandpiste beginnt. Wir wollen Richtung Westen, entlang des Ouet Drâa, das sich bis zum Atlantik erstreckt.

 
Marokko Torkoz

Langsam nähern wir uns durch Schwemmsandebenen den Bergen. Die Piste verzweigt sich. Wir entscheiden uns für eine Piste, die nach rechts über eine Bergkuppe führt. Schon nach kurzer Zeit gebe ich das Steuer an Hellmut ab. Es wird immer steiler und die Felsbrocken auf der Piste immer größer. Umzukehren ist nicht mehr möglich. Seit Torkoz ist uns kein Fahrzeug mehr begegnet. Mühsam quält sich unser Bus den Berg hinauf. Als wir den Kamm erreichen, zeigt sich, dass wir erst am Anfang des Anstiegs sind. Es geht weiter und weiter und weiter bergauf… erst nach stundenlanger, mühseliger Quälerei haben wir die höchste Stelle erreicht und es geht endlich wieder bergab. Die Piste lässt sich zuerst recht gut an und wir atmen auf. Doch schon bald wird es wirklich abenteuerlich. Die Piste wird immer schmaler und ist kaum noch auszumachen. Felsplatten mit Abbrüchen versperren die Weiterfahrt. Ein anderer Weg muss gesucht werden. Wir räumen Felsen zur Seite, legen woanders Steine unter. So basteln wir uns eine Piste. Inzwischen ist klar,  dass dies nie die reguläre Piste sein kann. Wo wir wohl sind? Es ist spät geworden und dunkle Wolken ziehen auf.

Marokko Piste nach M'Sied

Endlich erreichen wir eine schmale, von Felsen begrenzte Senke. Es gibt hier ein paar Büsche und Bäume und so beschließen wir, hier zu lagern. Hatte ich schon erwähnt, dass heute der 24. Dezember ist? Also koche ich leckere Pasta, die wir mit einem Schlückchen Rotwein hinunter spülen. Wilde Esel, die sich in einiger Entfernung eingefunden haben, beäugen uns ebenso neugierig wie wir sie. Das hat doch was von einem Weihnachtskripperl. Wir hoffen, morgen den Rest der Abfahrt gut zu bewältigen.

Marokko Piste nach M'Sied Esel

Als wir Motorengeräusche vernehmen, trauen wir unseren Ohren nicht. Ein klappriger, alter Landrover mit drei jungen Männern kommt um die Ecke gebogen. So wie wir unseren Ohren nicht trauten, so trauen die nun ihren Augen nicht. Touristen mit VW-Bus auf dieser Piste mitten in den Bergen? Die Männer sprechen nur marokkanisch, bedeuten uns aber, wir könnten nicht am Berg bleiben, sondern müssten ihnen unbedingt ins Tal folgen. Doch der VW-Bus ist schon für die Nacht bereitet, wir sind im Schlafgewand und so weigern wir uns, loszufahren. Da muss Hellmut mit dem jungen Mann den Berg hochklettern, damit dieser ihm zeigen kann, wo sie unten in der Ebene biwakieren würden. Wir sollen morgen früh um 7 Uhr da sein, um die Fahrt gemeinsam fortzusetzen.

Nachts fängt es an zu regnen. Hoffentlich wird die Piste jetzt nicht auch noch glitschig. Beim Morgengrauen sind wir wach, packen alles zusammen und fahren hinunter in die Ebene. Der Regen hat aufgehört. Wir haben das Licht an, hupen und suchen die Buschgruppe. Wir finden die Leute mit dem Landrover nicht und vermuten, sie wären vielleicht wegen des Regens weitergefahren. Als Hellmut Reifenspuren im Gelände ausmacht, folgen wir diesen.

Marokko Piste nach M'Sied Oued

Wir fahren nach Westen. Zu unserer Rechten sind die Berge, zu unserer Linken ein Flusslauf, der viel Wasser führt. Die Landschaft ist überschwemmt, es muss hier die letzte Zeit schwere Niederschläge gegeben haben. Das von den Bergen herabstürzende Wasser hat große Kerben in den Boden gerissen, die wir immer wieder weiträumig umfahren müssen. Da ist neben uns ein großer, schwarzer Fleck in Form eines Wagens. Das muss einmal ein Auto gewesen sein, bevor es auf eine Mine gefahren ist. Wie uns später erzählt wird, haben die schweren Regenfälle Minen, die aus dem nordöstlichen Grenzgebiet zu Algerien stammen, weggeschwemmt. In dieser Gegend wurden sie bei zurückgehenden Wasserfluten abgelagert und so passiert es immer wieder, dass ein Wagen auf eine Mine fährt.

Endlich treffen wir auf einige Nomaden mit ihren Tieren. Wir fragen nach dem Weg: „La route à M’Sied?“ - „Naâm! Naâm! M’Sied!“ wird uns geantwortet. Also fahren wir weiter und suchen uns den Weg zwischen Bergen und Fluss entlang der mäandernden Piste beziehungsweise deren rudimentärer Reste. Das Vorankommen gestaltet sich sehr mühsam, da immer wieder ganze Pistenabschnitte vom Wasser weggerissen sind. Wenn diese Passagen nicht zu steil und eng sind, kann man sie durchfahren, meist ist es aber unumgänglich, sie weiträumig zu umfahren.

Marokko Piste nach M'Sied Berberlager

„Das ist das Aus!“, ruft Hellmut plötzlich. Die Piste macht eine Kurve nach links und führt durch den Fluss. Ratlos steigen wir aus und versuchen, zu Fuß durch den Fluss zu waten. Zwar reicht das Wasser bis gut zu den Knien und die Strömung ist sehr stark, doch spüren wir mit den Füßen, dass am Grund große Steine und Platten ausgelegt sind. Was tun? Fahren wir durch und riskieren mitten im Fluss stecken zu bleiben? Bis jetzt sind wir heute noch keinem einzigen Fahrzeug begegnet. Wer weiß, wie lange wir warten müssten, bis uns jemand herausziehen kann? Und wenn es wieder zu regnen anfinge und unser Bus weggeschwemmt würde? Aber was bietet sich als Alternative an? Zurück ist völlig unmöglich. Und hier warten, bis wir Wurzeln schlagen? Auch keine so gute Option. Hellmut will es riskieren. Ich warte mit Wolfi am anderen Flussufer und kann gar nicht hinsehen…  Langsam lenkt Hellmut den Bus durch die Furt, der sich - ohne wegzurutschen oder stecken zu bleiben - seinen Weg durch das Wasser bahnt. Endlich ist das andere Ufer des Oued Drâa erreicht!

Auf diesen Schrecken rauchen wir erst mal eine Zigarre. Wir brauchen die Pause auch zum Überlegen, weil wir uns jetzt auf einer Ebene befinden und sich unsere Piste schon wieder teilt. Vor uns erhebt sich in der Ferne ein massiver Bergkamm.

Doch schon naht Rettung in Form eines einheimischen Geländefahrzeugs, besetzt mit einem jungen Fahrer und vier Damen unterschiedlichen Alters. Alle Fünf steigen hocherfreut über die Abwechslung aus und fangen auf marokkanisch an zu palavern. Wir begreifen nur so viel: Ja, rechts geht es nach M’Sied, und ja, die Pisten seien durch die Regenfälle sehr chaib! Die Älteste der Frauen, wohl die Mutter, überreicht uns ein mit Frischkäse belegtes Fladenbrot zur Stärkung für die Weiterfahrt, wofür wir uns mit einer Tafel Schokolade bedanken. Wir winken bei der Abfahrt und folgen der rechten Piste nach M’Sied.

Zunächst fährt es sich recht flott im Vergleich zu den vergangenen Stunden. Doch dann beginnen die ersten Sandpassagen und wir bleiben stecken. Hellmut bockt den Bus auf, wir schaufeln ein bisschen, legen Steine und unsere Sandbleche unter und weiter geht’s. Bis zum nächsten Sandloch. Nachdem wir uns noch einmal freigeschaufelt haben, kreuzt schon wieder eine Piste und wir wissen nicht so recht, welche Richtung wir nehmen sollen. Da kommt erneut von hinten ein Landrover angefahren. Quelle surprise! Das sind die drei jungen Männer von gestern Abend! Jetzt hatten wir den ganzen Tag gedacht, wir wären deren Spuren gefolgt und jetzt sind die hinter uns? Aber das waren dann wohl andere Autos gewesen. Sie fragen, wo wir denn heute früh gewesen wären. Als wir antworten, wir hätten sie nicht gefunden und wären deshalb alleine weiter gefahren, meinen sie:Ce n’est pas possible!“ Aber natürlich ist das möglich, sonst wären wir ja nicht hier! Wie schon Kurt sagte:  Mit dem VW-Bus kommt man überall hin! Bevor wir uns verabschieden, raten sie dringend, auf der rechten Piste zu bleiben, weil man auf der linken mit angeschwemmten Minen rechnen müsse. Sauber!

Marokko Piste nach M'Sied Oued

Da nähert sich seitlich von der anderen Piste ein weiteres Fahrzeug. Ein großer Allrad-Wohnmobil-Truck mit – ist es möglich – Friedberger Kennzeichen. Ein Paar steigt aus. Wir begrüßen uns. Sie sagen, sie kämen aus Friedberg in Hessen und hätten vor zwei Tagen andere Friedberger aus Hessen getroffen, die gesagt hätten, sie wären gerade mit zwei Münchnern mit VW-Bus unterwegs gewesen. Das können ja nur wir gewesen sein. Kleiner kann die Welt wohl nicht sein!

Marokko Piste nach M'Sied

Wir beschließen, mit Gertraud und Werner ein Stück des Weges gemeinsam zurückzulegen und finden alsbald einen schönen Lagerplatz. Die beiden laden uns in ihren Luxus-Truck mit aufklappbarem Panoramafenster zum Abendessen ein. Es gibt Pasta mit Lachs-Sahne-Sauce und anschließend Weihnachtsstollen. Dass wir nach all den Aufregungen des heutigen Tages dank Gertraud und Werner den Ersten Weihnachtstag so luxuriös begehen würden, hätten wir uns auch nicht träumen lassen. Danke!

Am nächsten Vormittag stellt sich schnell heraus, dass wir mit dem Truck-Tempo nicht Schritt halten können. Deshalb zuckeln wir wieder alleine durch die steinig-sandige Ebene, deren ganze Abwechslung in stacheligen Büschen und ein paar Kakteen besteht. Und dann gabelt sich erneut die Piste: rechts oder links? Wir entscheiden uns für rechts. Die Piste ist schon bald recht schwierig zu fahren, denn der Mittelkamm wird so hoch, dass ich vorausgehe, um  die großen Steine wegzuräumen, damit der Bus nicht aufsitzt. Nur im Schritttempo kommen wir Meter für Meter vorwärts. Nach einer guten halben Stunde und ungefähr vier Kilometern macht die Piste eine Kurve und führt wieder hinein in die Berge. Nein, das kann nicht richtig sein! Wir hätten uns doch links halten sollen. Wir wenden und zuckeln die vier Kilometer zurück.

Marokko  Piste nach M'Sied

Fast an der Gabelung angekommen, rasen uns plötzlich zwei Geländewagen mit jungen Spaniern entgegen. Sie wollen auch nach M’Sied, auf der gleichen Piste wie wir. Sie überzeugen uns, dass wir doch richtig waren. Das wäre die einstige Strecke der Rallye Paris – Dakar und sie würden nach GPS fahren. Also: wenden und die vier Kilometer eine halbe Stunde lang zurückhoppeln. Jetzt haben wir die Berge erreicht und beginnen gerade mit dem mühsamen Aufstieg. Doch was sehen wir da? Von oben kommen uns die beiden spanischen Geländewagen entgegen. Wir suchen eine Stelle zum Ausweichen und auch gleich zum Wenden, denn das war doch die falsche Piste.

Wieder eine halbe Stunde lang über die miserable Piste vier Kilometer zurückhoppeln! Jetzt  machen wir diesen schrecklichen Streckenabschnitt zum vierten Mal! Wir fühlen uns wie Igel und Hase.

Zurück auf der richtigen Piste machen wir bald Lager. Mutterseelenallein in einer Ebene, die erst in weiter Ferne von Bergen begrenzt wird, genießen wir das Wunder eines traumhaft schönen Sonnenuntergangs. War doch dieser Abend allein die Fahrt durch das Oued Drâa wert.

Marokko Piste nach M'Sied

Die Piste ist ab jetzt gut und nach nicht mal zwei Stunden erreichen wir bereits 15 Kilometer nördlich von M’Sied die Teerstraße. Wir fahren nicht in den Ort zurück, sondern gleich weiter Richtung TanTan. Zuerst kommen wir durch den Ort Tilemsen, dann führt die Straße über steile Pässe hinunter nach TanTan. Zurück in der Zivilisation. Das feiern wir in einem Café in der Hauptstraße von TanTan mit einer Tasse Pfefferminztee.

In dem Café läuft der Fernseher. Erschütternde Bilder von toten Kindern, weinenden Frauen, zerstörten Häusern flimmern über den Bildschirm. Wir fragen entsetzt, ob im Irak schon wieder ein Selbstmordattentäter zugeschlagen hätte. Man verneint und erzählt, dies wären Aufnahmen aus dem Gaza-Streifen; die Israelis hätten das Palästinensergebiet mit Krieg überzogen. Beim anschließenden Einkauf in der Hauptgeschäftsstraße von TanTan sehen wir immer wieder die gleichen schrecklichen Bilder. Jeder arabische Sender sendet sie ununterbrochen den ganzen Tag. Mir ist, als wäre die uns sonst entgegen gebrachte herzliche Gastfreundlichkeit der Marokkaner plötzlich in ein distanziert-höfliches, bisweilen sogar feindseliges Misstrauen umgeschlagen. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.
Marokko Piste nach M'Sied Bitterkürbis

Ein Besuch in Guelmim und Abeinou

Nachdem Hellmut sich hat rasieren lassen und wir noch das Internet-Café aufgesucht haben, verlassen wir TanTan und fahren in das etwa 125 Kilometer entfernte Guelmim, eine quirlige Wüstenstadt. Hier war ich vor zwanzig Jahren schon mal, doch seit dieser Zeit hat sich vieles geändert. Guelmim ist gewachsen, es gibt viele neue Straßen, Häuser und Geschäfte. Als wir im Verkehr feststecken, spricht uns vom Rücksitz eines neben uns eingekeilten Mofas ein älterer, in weiße Tücher gehüllter Marokkaner in gutem Deutsch an und stellt sich als Mohammed vor. Viele Jahre habe er in Bremen gearbeitet, jetzt sei er Rentner. Wir parken unsere Gefährte und gehen zusammen Tee trinken. Er erzählt, er fahre in wenigen Tagen auf das große internationale Musikfestival nach Timbuktu, das jedes Jahr im Januar stattfindet. Die Reise führe über Mauretanien nach Mali. Es träfe sich dort sehr viel Publikum aus aller Welt und das Ganze wäre eine faszinierende Sache. Mitten in der Wüste baue man Bühnen mit großen Lautsprecheranlagen auf. Das Festival dauere drei Tage. Wir lassen uns begeistern und sind schnell entschlossen, nächstes Jahr ebenfalls nach Timbuktu zum Festival au Dessert zu reisen. Mohammed informiert uns, dass südlich von TanTan, in Tarfaya, Sprit zollfrei sei. Und er erzählt, wie gut man in Mauretanien gebrauchte VW-Busse und alte Mercedes verkaufen könne, da es in Nouakchott einen großen Markt dafür gebe. Nachdem wir noch unsere Telefonnummern ausgetauscht haben, verlassen wir Guelmim Richtung Tiznit.

Allerdings biegen wir schon nach 13  Kilometern rechts zu dem kleinen Badeort mit Schwefelquellen namens Abeinou ab, den wir nach vier Kilometern erreichen. Auf dem kleinen, nur spärlich belegten Campingplatz direkt neben dem Männerbad ist es kein Problem, einen Stellplatz zu finden. Das Damenbad befindet sich auf der anderen Straßenseite. Also packe ich meine Badesachen in eine Plastiktüte und mache mich auf den Weg. Nachdem ich an der Kasse einen kleinen Eintrittspreis bezahlt habe, bedeutet mir eine ältere Frau, dass ich mir eine der bereitstehenden Plastikwannen greifen und damit in die Schwimmhalle gehen soll. Um das rechteckige Wasserbecken zieht sich ein gefliester Rundgang. Dort stellt man die Plastikwanne seitlich an der Wand ab und deponiert darin seine Kleidung. Unsicher bezüglich der Kleiderordnung, spähe ich umher. Es sind einige Frauen und wenige Kinder da. Die meisten Damen tragen nur eine Unterhose und sind oben ohne. Okay, dann tut’s auch ein Bikiniunterteil Also die Treppen hinunter und rein ins große Schwimmbecken. Das Wasser ist wunderbar warm und man spürt seine anregende Wirkung. Die Frauen lassen sich langsam im Wasser treiben oder sitzen am Beckenrand. Ich versuche mich in diesen ruhigen Rhythmus einzuklinken. Das offene Dach ist nur mit einem grünen Plastiknetz abgedeckt, das die Sonnenstrahlen bricht und den Blick auf  Palmgipfel freigibt. Die Bewegung im warmen Wasser und die ruhige Atmosphäre wirken überaus wohltuend und entspannend.
Marokko Abeinou

Da war im inzwischen von Hellmut besuchten Männerbad schon mehr los. Für die einheimischen Buben ist das Baden ein Riesenspaß und sie forderten Hellmut zum Wettspringen- und tauchen heraus. Das war wohl alles eine große Gaudi.  Beide sind wir von unseren Badeerlebnissen geschafft und hungrig.


Entlang der Atlantikküste nach Norden (Essaouira,
Moulay-Bouzerktoum)

Am nächsten Morgen geht es über Tiznit entlang der Küstenstraße nach Norden. Wir finden nach Agadir eine  wunderbare Bleibe für die Nacht, in einem Olivenhain mit Blick auf den Atlantik. Zu verdanken haben wir das idyllische Plätzchen einem Imam, den wir als Anhalter mitgenommen hatten und zu seiner am Berg gelegenen Gemeinde brachten. 

Gegen Mittag des nächsten Tages erreichen wir die ehemals portugiesische Hafenstadt Essaouira
. Wir beschränken uns diesmal auf einen kurzen Aufenthalt. Ein sehr leckeres Fischessen in einer der rustikalen Garküchen am Hafen und ein kleiner Spaziergang durch die malerische Medina, das muss reichen. Heute ist Sylvester und es sind jede Menge Touristen unterwegs, die der Stadt ein internationales Flair verleihen.

Marokko Esauira

Wir wollen es Sylvester ruhiger angehen lassen und fahren zum nächsten Küstenort Moulay-Bouzerktoum. Nachdem wir den Ort durchquert haben, folgen wir einer kleinen, den weißen Sandstrand entlang führenden Piste, die sich in den Dünen verläuft. Als es nicht mehr weiter geht, parken wir am Dünenabbruch mit Blick auf die tosenden Atlantikwellen. Einen romantischeren Platz hätten wir für diesen Sylvester-Abend nicht finden können!
Marokko Moulay Bouzerktoun

Am Neujahrsmorgen sind wir sehr erstaunt, als neben unserem Bus ein Esel geparkt ist und sich der Strand unter uns immer mehr belebt. Es herrscht Ebbe und viele Frauen sind im Watt unterwegs. Wir entschließen uns zu einem Neujahrsspaziergang, um das Ganze aus der Nähe zu betrachten. In mühseliger, gebückter Kleinarbeit schaben die Frauen Algen vom felsigen Untergrund. Als die Flut einsetzt, kommt eine Bäuerin, der der Esel neben unserem Bus gehört, mit ihrem vielleicht zehnjährigen Sohn und begrüßt uns freundlich. Auch sie hat einen Sack Algen gesammelt, den sie in den Dünen zum Trocknen ausbreitet. Das sei Kraftfutter für die Tiere. Sie zeigt auf in der Nähe gelegene Bauernhäuser: da wohne sie.

Marokko Moulay Bouzerktoun

Nur kurze Zeit, nachdem sie sich verabschiedet hat, kommt sie mit Sohn und Esel wieder; neben dem Sattel sind Tüten mit Lauch, Erbsen und anderem Gemüse sowie wunderbar duftendem Oregano befestigt. Gerne kaufen wir ihr davon etwas ab. Sie meint, sie könne gleich wiederkommen, vielleicht mit einem frisch geschlachteten Huhn? La la! - nein, also das lehnen wir freundlich aber bestimmt ab. Ich sollte vielleicht nicht vergessen zu erwähnen, dass die ganze Unterhaltung mangels gegenseitiger Sprachkenntnisse so gut wie nonverbal stattfindet.

Marokko  Moulay Bouzerktoun

Von nun an soll es schnell zurück in den Norden gehen. Ohne Station in Safi, El Jadida (in dieser landwirtschaftlichen Gegend finden wir nur mühsam einen Lagerplatz auf einem Feld, wo uns ein netter junger Mann beim Essen Gesellschaft leistet und meint, wir sollten unbedingt in seinem Haus übernachten. Er lässt sich erst davon abbringen, als wir ihm vorführen, wie komfortabel ein ausgezogenes Bett in einem VW-Bus ist) und Casablanca zu machen, fahren wir nach Rabat, der vierten Königsstadt Marokkos, die wir noch nicht kennen.


Rabat – die Königsstadt

Es regnet in Strömen als wir uns im dichten Verkehr zur jenseits des Oued Bou Regreg gelegenen alten Königsstadt Salé durchfragen. Laut unserem Reiseführer soll es hier einen Campingplatz geben, doch der existiert nicht mehr. Nun erst mal den Bus geparkt und Salé besichtigt! Das aus dem 13. Jahrhundert stammende Bab el Mrisa ist wirklich sehenswert, doch die dahinter liegende Altstadt macht einen, durch das graue Regenwetter noch verstärkten, recht heruntergekommenen Eindruck. Hier beginnt das Judenviertel, die Mellah. Wir wandern durch die Altstadt, entlang der Rue de la Grande Mosquée, vorbei an der Großen Moschee aus dem 12. Jahrhundert, ebenso wie an der Medersa und erreichen über die Koubba des Marabout Sidi Abdallah Ben Hassoun den islamischen Friedhof. Inzwischen ist der Regen so stark geworden, dass wir die Besichtigung abbrechen.

Marokko Rabat Medina

Über die Brücke fahren wir zurück nach Rabat. Wir wollen versuchen, in einem der Hotels, die an der außerhalb der Medina entlang führenden Hauptstraße Boulevard Hassan II. liegen, ein Zimmer zu finden. Doch die Antwort lautet immer:No chien!“ Armer Wolfi! Um das weitere Vorgehen zu beratschlagen, gehen wir erst mal Kaffeetrinken. Als wir zum Bus zurückkommen, trauen wir unseren Augen nicht: eine orangefarbene Parkkralle ist am linken Vorderrad unseres Buses befestigt! In heller Aufregung suchen wir nach dem Parkwächter, der uns in diesen Parkplatz eingewiesen hat. Wir hätten keinen Parkschein gelöst, meint der, und das würde jetzt eine Strafe von 10 € kosten. Wenn wir zahlen, dann würde die Parkkralle entfernt und wir dürften auch den Rest des Tages hier stehen bleiben. Erst einmal erleichtert, so schnell und unbürokratisch die Parkkralle wieder loszuwerden, zahlen wir natürlich gern. Erst anschließend ärgern wir uns, dass uns der Parkwächter nicht vorher informiert hatte, dass wir einen Parkschein lösen müssen.

Marokko Rabat

An einem Taxistand fragen wir, wo sich der nächste Campingplatz befindet. Der Taxler sagt, der sei ca. 15 Kilometer außerhalb. Aber es gäbe noch eine andere Möglichkeit. Der große Parkplatz des Einkaufszentrums Margianne sei nachts bewacht und es würde toleriert, wenn sich dort Camper aufhielten. Wir gönnen uns in der Stadt noch ein gutes Kuskus-Essen, bevor wir uns auf die Suche nach dem Einkaufszentrum machen.

Das stellt sich wirklich als ein guter Tipp heraus! Das Margianne hat bis 22 Uhr geöffnet und verfügt über saubere Toiletten. Wir stellen uns in eine dunkle Ecke des Parkplatzes, gehen noch ein bisschen shoppen und lassen dann unseren Schlaf von den Parkwächtern bewachen.

Am nächsten Morgen geht’s los zur Besichtigung von Rabat. Entlang der Rue Soukia und vorbei an der Großen Moschee schlendern wir durch die Medina und bewundern die in den Läden zum Kauf angebotene exotisch-bunte Warenwelt. Beim Marché biegen wir nach links in die Neustadt ab, folgen der modernen Rue Mohammed V. Vorbei am Tor des Windes (Bab er Rouah), der Universität und der Moschee es Sunna erreichen wir den Königspalast. Darin residiert der jetzige König von Marokko, Mohammed VI., dessen Person laut Verfassung „heilig“ ist. Auch wenn im Land nicht mehr jegliche Opposition mit Kerker und Folter verfolgt wird, so wie es noch unter dem Vater des seit zehn Jahren amtierenden Königs der Fall war, so ist der 46-jährige Monarch doch der Alleinherrscher, Parlament und Regierung praktisch bedeutungslos. Die Wirtschaft wächst, doch kommt der Reichtum nur einer kleinen Schicht zugute, während die Mehrheit bitterarm bleibt. Es heißt, der König liebe Rockmusik und Sport, lebe aber sehr zurückgezogen.

Marokko Rabat Königspalast

Es hat wieder stark angefangen zu regnen und die Torwache sagt uns, mit Hund dürften wir hier sowieso nicht rein und der Touristeneingang befände sich auch ganz woanders. Hellmut gibt auf. Er will mit Wolfi im Café warten. Doch ich will unbedingt sehen, wo der heilige Monarch residiert. Also wandere ich im strömenden Regen – Schirm habe ich natürlich nicht dabei - entlang der Palastmauer zum Tor für Touristen. Von einem Tor kann man nicht sprechen, es ist nur eine Pforte mit viel Polizei. Als ich neugierig auf das Gelände spähe, werde ich sofort gefragt, was ich hier möchte. Als ich meinen Besichtigungswunsch äußere, bringt mich der Uniformierte in ein kleines Kämmerchen zu einem Zivilbeamten. Den Pass bitte! Ach du Schreck! Meine ganzen Papiere sind bei Hellmut im Café! So stehe ich tropfnass vor diesem Mann, kann mich nicht ausweisen. In meiner Börse finde ich zu guter Letzt noch einen alten Münchner Bibliotheksausweis. Ich wirke so touristisch harmlos, dass der Mann, nachdem er meinen Namen und meine Herkunft in eine Liste eingetragen hat, mich in den weitläufigen Schlossgarten entlässt. Zur Besichtigung habe ich überhaupt keine Lust mehr, aber jetzt gleich wieder gehen, geht auch nicht. Nur keinen Verdacht erregen. Also stapfe ich tapfer durch den strömenden Regen und unter Sturm gepeitschten Palmen in Richtung Palast und Moschee. Die wachhabenden Soldaten beäugen mich neugierig. Andere Touristen sind ja auch nicht unterwegs. Natürlich darf ich keines der Gebäude betreten. Genervt trete ich den Rückzug an, melde mich bei dem Herrn im Kämmerchen wieder ab und wärme mich später im Café bei einer Tasse Tee auf. Das war genug Rabat!


Ein Tag in Moulay-Bousselham

Weiter führt unser Weg entlang der Küstenstraße. In Moulay-Bousselham kommen wir auf einem sehr gepflegten Campingplatz unter, der in dem Naturschutzgebiet Merdja Zerga Resevé liegt, eine Lagune mit Natur- und Vogelreservat. Im Ort nehmen wir, gemütlich im Restaurant sitzend, ein ausgezeichnetes Fischmenü zu uns, während draußen ein Sturm tobt. Hoffentlich wird das Wetter besser, denn für den nächsten Morgen haben wir eine Bootsfahrt verabredet.

Marokko Mouley Bousselham

Der Ort ist sehr malerisch und das Marabout des Heiligen Bousselham ein Pilgerziel. Der Sturm hat sich gelegt, doch mit dem Boot aufbrechen können wir trotzdem nicht sofort, denn erst muss der Motor repariert werden. Endlich geht es los, doch dann gibt der Motor unterwegs wieder seinen Geist auf: der Sprit ist aus. Unser Bootsführer setzt uns auf einer kleinen Vogelinsel ab und sagt, wir sollen derweilen hier spazieren gehen, bis er zurück gerudert ist und neuen Sprit besorgt hat. Also stackseln wir durch das harte Gras dieser Moorlandschaft und freuen uns, wenn wir ab und zu einen Vogel in der Weite sehen. Noch mehr freuen wir uns, als das Boot wieder da ist und wir zurück in den Ort gebracht werden.

Marokko Mouley Bousselham


Zurück nach Ceuta/Sebta

Auf der weiteren Strecke entlang der Autobahn in den Norden erstrecken sich neben uns weite, überschwemmte Felder. Es muss hier die letzte Zeit unglaublich schwere Regenfälle gegeben haben. Über Larache erreichen wir Tanger, dann geht es an der Küste, entlang der Straße von Gibraltar,  zurück nach Ceuta, wo schon das Fährboot nach Spanien auf uns wartet.

Schön war die Reise und im nächsten Jahr wollen wir wieder kommen. Dann aber nicht mehr mit unserem geliebten T3, sondern dann soll es schon ein geländetauglicher T3 Syncro sein, damit wir auch ein bisschen in die Sahara und vielleicht sogar weiter nach Mauretanien fahren können…

Marokko Kachel

Reiseführer: (eine Auswahl)

„Marokko – Antike, Berbertraditionen und Islam – Geschichte, Kunst und Kultur im Maghreb“ (Arnold Betten) aus der Reihe Dumont Kunstreiseführer

 „Marokko – vom Rif zum Anti-Atlas“ (Erika Därr) aus der Reihe „Reise-Know-How“


Weiterführende Literatur: (eine Auswahl)

Paul Bowles: Das Haus der Spinne, 1955

Paul Bowles: Himmel über der Wüste, 1949

Elias Canetti: Die Stimmen von Marrakesch, 1968

Mohamed Choukri: Das nackte Brot, 1954

Tahar Ben Jolloun Verlassen, Berlin Verlag, 2006

Tahar Ben Jolloun: Mit gesenktem Blick, Rowohlt, 1994

Tahir Shah: Im Haus des Kalifen. Ein Jahr in Casablanca, National Geographic, 2008


Artikel:

Rudolph Chimelli:Mohammed VI. König von Marokko mit gemischter Bilanz“, SZ    31.7.09

[Gutsche] [Reiseberichte] [Afrika] [Marokko 08] [08 Marokko 1] [08 Marokko 2] [2007 Marokko] [Europa] [Kontakt]