Marokko 2007                                                       Angelika Gutsche

 Marokko Kachel

  
   VI. Südmarokko

Wir erreichen Erfoud, das Tor zur Sahara. Wir lassen uns mal wieder von einem marokkanischen Geschäftsmann in seinem  Laden zum Tee einladen, nur um festzustellen, dass es dort wunderbare Teppiche gibt. Und der Geschäftsmann ist auch Fabrikbesitzer. In seiner Fossilienschleiferei werden aus dem Stein, der aus dem nahe gelegenen  versteinerten Korallenriff gebrochen ist, wunderbare Dinge wie Tischplatten und Waschbecken hergestellt. Die im Stein eingeschlossenen Fossilien werden dabei herauspoliert. Wir bekommen eine Führung durch die Fabrik und  sind von den wunderschönen Stücken begeistert! Wir überlegen, ob wir ein fossiles Waschbecken kaufen sollen, das wir eigentlich nicht brauchen, das aber so schön ist.

Obwohl es in Erfoud viele Hotels gibt, beschließen wir, auf dem Campingplatz zu übernachten. Einen Teil seiner Umfassungsmauer hat es bei den Unwettern der letzten Tage ins Oued gespült. Die schweren Regenfälle sollen eine ganze, etwas südlicher in der Sahara gelegene Stadt zerstört haben. Wir nehmen für die Übernachtung einen kleinen Bungalow und waschen endlich mal unsere Wäsche.

Die Straße in den Süden zum Erg Chebbi, dem einzigen Dünengebiet Marokkos, führt zuerst durch das Oued Ziz,Marokko Sahara bei Bordj Est dessen gemauerte Furt unter Wasser steht, vorbei an dem auf einer Erhebung gelegenen Militärstützpunkt Bordj Est und durch das 350 Millionen alte versteinerte Korallenriff mit seinen wunderbaren Fossilieneinschlüssen. Entlang der Straße reiht sich ein Fossilienladen an den anderen. Dann kommen die  ersten Dünen in Sicht und die Teerstraße endet. Und von da an dauert es nicht lange, bis unser Peugeot hoffnungslos im Sand versinkt.

Auf zwei Motorrädern sind junge Berber hinter uns her  gefahren. Sie bieten an, beim ausschaufeln zu helfen. Doch es nützt nichts; kaum haben wir uns frei geschaufelt, bricht der Wagen nach ein paar Metern wieder im Sand ein. Rien ne va plus! Wir haben genug  von Wüste, Dünen und Schaufeln und beschließen, auf der Teerstraße nach Rissani zu fahren. Auch wenn es den Anschein hat, dass unsere Helfer Marokko Tazzarineden Rettungsjob  professionell ausüben, gebührt ihnen natürlich dennoch ein dickes Trinkgeld.

Bei Rissaniliegen die Ruinen von Sijilmassa, das einst einer der bedeutendsten Karawanenorte im Süden  Marokkos war: hier wurden unter anderem Gold, Elfenbein und Sklaven aus Schwarzafrika gehandelt. Die einstige Stadt, deren Lehmmauern sich heute langsam im Wüstenwind auflösen, soll bis zu 100.000 Einwohner  gehabt haben. Als im 18. Jahrhundert der Seehandel immer übermächtiger wurde verlor nicht nur der Karawanenhandel an Bedeutung, sondern auch die Stadt, bis sie 1816 von Berbern völlig zerstört wurde.

Über Mecisse fahren wir nach Alnif, wo wir die Straße Richtung Süden nach Ait Saadaneund weiter nach Ait-Oufrou nehmen. Marokko bei Ait-OufrouDie Teerstraße ist hier zu Ende und wir fahren eine Piste in Richtung Tazzarine. Es gibt hier mitten in der Wüste neu gebaute Ortschaften, doch Touristen begegnet man nicht mehr. Die Menschen sind beim Anblick von Fremden erstaunt und etwas  zurückhaltend, geben aber freundlich Auskunft nach dem Weg. In einem kleinen Wadi finden wir unter Schirmakazien einen wunderschönen Lagerplatz. Der Sonnenuntergang hinter Dünen und Bergen gestaltet sich  bilderbuchmäßig. Obwohl unser Zeltplatz von jungen Motorradfahrern von der weiter entfernten Straße aus wahrgenommen wird, bleiben wir unbehelligt.

Auf unserer weiteren Pistenfahrt kommen wir durch eine  Oase, wo die Getreideernte gerade in vollem Gange ist. Mensch und Tier sind schwer mit Ähren bepackt. Hier gilt wirklich noch, dass man sich sein Brot im Schweiße seines Angesichts verdienen muss.

 Kurz darauf treffen wir eine kleine Kamel-Karawane von Wüstennomaden. Vormittags um zehn hat es bereits 33Grad im Auto. Etwas südlicher als erwartet Marokko Tazzarino

 

stößt unsere Piste auf die Teerstraße nach Tazzarine. Dort ist heute Markt, ein buntes und geschäftiges Treiben bestimmt das Stadtbild.

Von hier aus folgen wir auf einer kleinen Straße der  Ausschilderung nach Tansikht, weiter nach Mellalund Nekob.  Die Straße verläuft entlang eines mit Oleanderbüschen gesäumten Ouets, das links hohe Bergwände begrenzen.

 Nekob ist ein richtiges Wüstenkaff, das den „High Noon“-Charme eines Italo-Westerns ausstrahlt. Es ist sehr heiß, es gibt viele Fliegen, entlang der Hauptstraße langweilen sich in den flachen Geschäftsbuden die  Verkäufer, überhaupt wirken die Menschen so, als hätten sie sehr viel von der träge dahin fließenden Zeit. Die paar Touristen, die hier gerade aus einem Bus steigen, wirken wie Statisten aus dem Film „Babel“; in kurzen  Hosen und Trägerhemdchen – trotz fortgeschrittenen Alters und molliger Figuren – beäugen sie verunsichert die Einheimischen. Da passt es, dass auf den Bussen der Schriftzug „Transporte Touristique “ zu lesen ist, so als wenn es sich um den Transport einer anderen Spezies handeln würde. Marokko Nekob

Wir lassen uns von dem leckeren Duft nach gebratenem Fleisch verführen und besuchen das Straßenrestaurant Merzouga. Die Lamm-Brochettes schmecken wirklich vorzüglich, ebenso der Salat, der aus einer interessanten Mischung von Tomaten, Zwiebeln, Erbsen, Oliven und Kreuzkümmel besteht.

 Da betritt ein alter Mann, ordentlich in eine weiße Dschelaba gekleidet und das Haupt mit einem Turban umhüllt, das Restaurant. Zielstrebig steuert er unseren Nebentisch an, an dem eine Berberfamilie gerade ihr  Mittagessen einnimmt. Der Alte spricht den Mann am Tisch, das Familienoberhaupt, an. Da belegt der Mann ein großes Fladenbrot tüchtig mit Fleisch und drückt es dem Alten in die Hand. Der Alte setzt sich mit dem Brot an  einen freien Tisch und isst in aller Ruhe, aber mit zittrigen Parkinson-Händen das soeben erhaltene Brot, bevor er das Restaurant wieder verlässt. Sozialhilfe à la Maroc.

Schon bald nach Nekob kommen wir auf die Straße der Kasbahs,Marokko Qued Draa Kasbah die entlang des Oued Draanach Zagora führt. Die Landschaft mit ihren Palmoasen ist wunderbar. Wie Perlen an einer Schnur reihen sich links und rechts  der Straße die Kasbahs aneinander. Da der Karawanenhandel in Nord-Süd-Richtung verlief, waren in dieser Zwischenregion sowohl Einflüsse aus den Bergen des Nordens wie aus den Gebieten des Südens spürbar.  Die außerhalb der Dörfer errichteten Kasbahs, die von einer Stampflehmmauer umschlossen wurden, entstanden erst ab der zweiten Hälfte des 19. bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die heute als so typisch für  Südmarokko empfundenen Bauwerke waren eigentlich verhasste Fremdkörper, gebaut von Angehörigen des mächtigen Berberstammes der Glaoua, der mit den Franzosen kollaborierte und von seinen neu errichteten  Kasbahs aus den Süden Marokkos kontrollierte. Kein Wunder, dass nach dem Untergang des Glaoua-Clans auch die ungeliebten Kasbahs dem Verfall preisgegeben wurden.

Marokko Straße der KasbahsWir halten an einer der Kasbahs,  Quiad Atmane, zur Besichtigung.Unser Guide heißt Abdel Abdu Latifdhne und ist für seine 15 Jahre ein richtiger, aber sehr netter Profi. Innerhalb der Kasbah wird man von sofort von  diesem wunderbaren Raumklima des Lehmbauwerks mit seiner kühlen Dämmerung umhüllt. Ein kleiner Teil der Kasbah wird gerade zum Hotel Blendi umgebaut. Die Renovierungsarbeiten, ausgeführt von  Billiglohnarbeitern aus Schwarzafrika, sind in vollem Gange: Quadratdezimeter  für Quadratdezimeter wird mit der Hand neu verputzt. Einige Bereiche der Kasbah sind  noch bewohnt, doch der größere Teil steht leer. Daneben gibt es ein kleines Kasbah-Museum.

Nachdem wir uns mit einem Pfefferminztee gestärkt haben, folgen wir weiter der Straße bis zu der großen Wüsten-Stadt Zagoramit ihren vielen Hotels, Restaurants und Reiseagenturen. Kaum halten wir  mit dem Auto an, kommen junge Männer gelaufen, die uns zu Dünen bringen wollen, wo schon ein Beduinenzelt und eine  Tashine auf uns warten würden. Wie schon in Erfout kann man sich auch hier des Eindrucks nicht erwehren, dass jede zu Marokko gehörige Sahara-Düne bestens vermarktet wird. Hier in Zagora findet sich auch das  Schild aus Karawanenzeiten mit der Aufschrift „Tombouctou – 52 Jours“.

Wir suchen die Piste Richtung Tazenakht, der wir ungefähr zehn Kilometer weit über eine ebene und steinige  Wüstenlandschaft folgen. Da kein geeigneter Lagerplatz in Sicht kommt und es schon recht spät ist, kehren wir wieder um, fahren noch einmal durch Zagora, um nach der Stadt zum Campingplatz Oasis Enchantée abzubiegen. Der Campingplatz ist schattig unter Palmen angelegt, die sanitären Anlagen sind sauber, es gibt sogar einen Pool, und so verbringen wir einen recht lauschigen Abend. Allerdings leiden wir seit zwei Tagen  unter ständig tropfenden Nasen. Vielleicht kommt das vom Staub? Der symphatische Campingplatz-Betreiber, dessen Nase ebenfalls tropft, klärt uns auf. Wenn die Temperatur so schnell von kalt auf heiß wechselt, wie das  soeben in der Sahara geschehen ist, wäre das genauso, wie ein schneller Wechsel von heiß auf kalt: die Nasenschleimhäute reagieren. Heute hatte es über 45 Grad, für den Mai eine sehr ungewöhnliche Temperatur,  die oft nur an wenigen Tagen im Hochsommer erreicht wird.Marokko Straße der Kasbahs

So war denn auch die Nacht sehr warm. Und es bellten die Hunde, die gegen Morgengrauen von iaaenden Eseln abgelöst wurden, denen dann die krähenden  Hähne folgten, durch die sich alle Spatzen der Oase zum Pfeife animiert sahen. Außerdem leide ich unter Durchfall und Übelkeit.

Wir fahren die Straße der Kasbahs zurück nach Agdz.   Unterwegs bewundern wir die mit schwarzer Spitze besetzten Trachten der Frauen und ihre rot leuchtenden Gürtel. Bereits um zehn Uhr ist für unzählige Kinder die Schule zu Ende und sie sind zu Fuß oder mit dem  Fahrrad in Pulks auf der Landstraße unterwegs, um zurück in ihre Dörfer zu kommen.

Als wir Agdz erreichen, ist draußen vor der Stadt gerade Markt und es herrscht buntestes Treiben. Agdz ist ein wüsten-rosarotes Städtchen, mit vielen unter den  Arkaden aneinander gereihten Geschäften.

Marokko bei TazzarineWir fahren weiter die Teerstraße Richtung Tazenakht, nehmen dann die Abzweigung nach Süden Richtung Foum-Zguid. Die Straße führt durch karge Gebirgslandschaft entlang eines Flusstals, das immer wieder von Palmenhainen gesäumt ist. 

 Am frühen Nachmittag müssen wir die Fahrt abbrechen, weil ich mich vor Schwäche nicht mehr auf dem Beifahrersitz halten kann. Es hat eine irrwitzige Hitze, ein Gluthauch streicht durch die steinig-bergige Landschaft.  Ich schaffe es nur noch an den Straßenrand unter eine Akazie, unter der ich völlig lethargisch den Rest des nachmittags auf unserer Campingmatratze verbringe. Es führt ein kleiner Eselspfad etwas weiter in die Berge,  dem wir gegen Abend mit dem Auto folgen und auch tatsächlich einen wunderbaren Zeltplatz unter Akazien finden. Leider nehme ich davon nur noch wenig wahr, so sterbenselend wie mir ist. Mein ganze Energie  erschöpft sich in den Versuchen, wenigstens ein bisschen Wasser bei mir zu behalten. Nachts gesellen sich zur Übelkeit auch noch starke Bauch- und Rückenschmerzen.

 Obwohl es auch nachts im Zelt sehr heiß war, geht es mir morgens etwas besser und wir können weiter fahren. Es geht durch das Gebiete des Jebel Bani, dann erreichen wir Tassetifte und fahren anschließend entlang des Oued Zguid, das sich linker Hand in die Breite öffnet. Hier stoßen Marokko bei Adgzwir auf die von Zagora kommende Piste, der  wir leider nicht gefolgt sind.

In  Foum-Zguid geht es mir bereits wieder so gut, dass ich mich mit einem Orangensaft stärken kann. Der Ort  gefällt mir und hat auch ein kleines, sauberes Hotel, in dem wir uns – obwohl erst vormittags – einmieten, damit ich mich auskurieren kann. Die Einrichtung des Zimmers ist in Weiß gehalten. Auf dem mit kühlen, sauberen  Laken bezogenem Bett liegend lausche ich mit geschlossenen Augen den Geräuschen, die von außen durch das mit Schmiedeeisen vergitterte, aber weit geöffnete Fenster dringen: dem Plappern von  Kinderstimmen, dem Schlürfen von Plastiksandalen auf der steinig-sandigem Straße, den Fetzen marokkanischer Musik, die von irgendwoher kommen; dann setzt der Muezzin ein und ruft zum Mittagsgebet ...  und obwohl das Zwicken in meinen Gedärmen nur unwesentlich nachgelassen hat, fühle ich mich ruhig, entspannt und gut aufgehoben.

 Die Leute im Hotel sind sehr fürsorglich um mich bemüht und kochen mir mittags harte Eier. Und jetzt kann ich auch schon ein wenig die Aussicht aus dem Fenster genießen. Zur rechten bieten sich die Quader der  rosafarbenen Steinhäuser Foum-Zguid dem Blick dar, die von vorne mit ihren rosa Arkaden so pittoresk wirken, davon abgehoben die blau lackierten, nach außen aufgeschlagenen Blechtüren, den Blick freigebend auf  das Warenangebot der dahinter liegenden Läden. Der Blick stadtauswärts, weiter hinab ins Oued, lenkt den Blick auf den Gürtel grüner Dattelpalmen entlang des Flusslaufes, hinter denen sich gleich die Wüste in Form  eines steinig-karstigen Berges breitmacht, an dessen unterer Flanke sich die Überreste einer zerfallenen Kasbah schmiegen.

 Abends bin ich bereits wieder fit für einen Stadtbummel, einen Café-Besuch und Einkäufe, unter anderem erstehen wir eine große Amphora und einen hübsch gerahmten Spiegel.

 Der junge Mann vom Hotel teilt uns seine Sorgen bezüglich des Klimawandels mit. Es hätte hier im Winter kaum geregnet und jetzt im Mai seien die Temperaturen ganz außergewöhnlich hoch. Was sollte aus der Oase und  ihren Menschen werden, wenn das Wasser versiegt? Die lebensbestimmende Rolle des Wassers beschreibt Tahar Ben Jolloun in seinem Roman „Mit gesenktem Blick“, in welchem er die harte Kindheit eines  Berber-Mädchens in der südlichen marokkanischen Bergwelt schildert. Das Buch hat eine wunderbare Sprache und ich mag diese in der afrikanischen Literatur so selbstverständlichen Art, Reales und Irreales untrennbar  ineinander zu verweben, Phantasie, Träume und Geisterwelten mit dem realen Leben zu verketten. Vielleicht bereichert die Kargheit der Landschaft und der Mangel an äußeren Reizen die innere Vorstellungskraft der  Menschen hier Marokko Tissinnt Seeund lässt eine Poesie entstehen, die an surreale Gemälde erinnert, indem sie der Phantasie, die  nicht durch eine flüchtige Außenwelt abgelenkt wird, alle Vorstellungswelten einer umso reicheren Innenwelt öffnet.

Die Strecke nach Tissint führt uns über eine karge  Steinplatte. Um neun Uhr hat es im Auto schon 36 Grad. Als wir bei den Wasserfällen von Tissint, die sich in ein natürliches Becken ergießen, ankommen, bietet sich uns  ein Bild dar, dass sich am besten mit dem Schiller-Zitat „ Es lächelt der See, er ladet zum Bade“ beschreiben lässt. Da gibt es kein Halten, rein in den Badeanzug, rein ins Wasser, ooohoh! Nur zwei Jungs sitzen weiter  entfernt auf einem Felsen, ansonsten sind wir ganz ungestört.

 

 

Marokko Tissinnt See

 

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Südmarokko:
unsere Tour

Kapitel VII.
Durch den Anti-Atlas

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